Message 04586 [Homepage] [Navigation]
Thread: oxenT02590 Message: 32/37 L1 [In index]
[First in Thread] [Last in Thread] [Date Next] [Date Prev]
[Next in Thread] [Prev in Thread] [Next Thread] [Prev Thread]

Till Mossakowski * Demokratisches Wirtschaften (was: Re: [ox-en] Conference documentation / Konferenzdokumentation)



Demokratisches Wirtschaften
===========================

Till Mossakowski [till at informatik.uni-bremen.de]

Bericht von der Veranstaltung auf der 3. Oekonux-Konferenz am 21. Mai 2004 in Wien
----------------------------------------------------------------------------------

Nachträgliche Ergänzungen sind kursiv gesetzt (oder, bei Zitaten,
eingerückt und kursiv)

Workshop-Ankündigung: Demokratisches Wirtschaften
=================================================

In diesem Workshop soll es um theoretische Grundlagen einer Ökonomie
ohne Tausch und Geld gehen, die in Wechselwirkung mit der Praxis in
der Bremer Commune stehen.

Bisherige Ökonomien waren immer von der Naturwüchsigkeit des Kampf des
"survival of the fittest" geprägt; im Kapitalismus wird daraus ein
Konkurrenzkrieg. Mit der Entwicklung der Maschine und
vollautomatischer Produktion kann nun die notwendige menschliche
Arbeit drastisch reduziert werden. Die Möglichkeit, existenzielle
Fragen zu beantworten und den Konkurrenzkampf zu überwinden, erscheint
am Horizont.

Andererseits droht mit PC und Internet aber auch der Verlust der
Sinnlichkeit im Virtuellen, eine Gefahr auch für die freie
Software-Bewegung und Oekonux.

In der Maschine liegt zudem ein Potential von unmenschlicher
Destruktivkraft, und zwar nicht nur in plumper Dinosaurier-Technologie
wie Atomkraftwerken: heute rückt die Maschine den Menschen auf immer
feinere und subtilere Weise auf die Pelle (Chipkarten, elektronische
Fußfessel, Medienmanipulation, ...).

Sowohl Natur als auch Maschine haben also einen Doppelcharakter; die
Aufgabe liegt in ihrer Humanisierung. Könnte ein sinnvolles Verhältnis
der Menschen zu Natur & Maschine darin bestehen, diese als Motoren der
Ökonomie so einzusetzen, dass die Menschen nicht mehr
Motor-Schmiermittel sind, sondern die intelligente Feinsteuerung
übernehmen? Nach einer geschichtsphilosophischen Herleitung sollen
einige Grundpfeiler einer solidarischen, gebrauchswert-orientieren
Ökonomie im Zeitalter der Vollautomation vorgestellt werden. Außerdem
soll natürlich genügend Raum zur Diskussion sein.

Auswege aus dem globalisierten Kapitalismus
===========================================

Der globalisierte Kapitalismus zeichnet sich aus durch Liberalisierung
von Märkten. Attac spricht von einer "Diktatur des Marktes". Genauer
herrscht im Norden ein kalte Diktatur (psychische Verelendung), im
Süden eine heiße Diktatur (Massensterben [1]) des Marktes. Die
transnationalen Konzerne errichten zunehmend ein totalitäres System.
Maggie Thatcher prägte den Slogan "TINA" - there is no alternative.

Was sind Auswege?

Oekonux begreift freie Software als Keimform einer neuen
Produktionsweise. Die "doppelt freie Software" wird nicht nur frei
verteilt, sondern basiert auch auf freier, kooperativer Arbeit, mit
Selbstentfaltung als Motivation.

Die entscheidende Fragen sind:

o    wie sieht das Verhältnis zur materiellen Produktion, zur Natur
     aus (die "Brötchenfrage" von Benni Bärmann [2])?

o    wie kann eine gesamte Ökonomie und Gesellschaft zu einer neuen
     Wirtschaftsweise?

o    wie soll diese Utopie erreicht werden?

Das von der Bremer Oekonux-AG mitentwickelte und in der Bremer Commune
in Ansätzen praktizierte Konzept "Demokratischen Wirtschaftens"
versucht, Antworten auf diese Fragen zu finden.

Das Spannungsfeld zwischen Natur & Maschine
===========================================

Die Natur besteht zunächst aus immer gleichen Kreisläufen, ihr wohnt
deshalb keine Freiheit inne (Hegel). Diese Stagnation wird aber
durchbrochen: Die Evolution der Natur bringt die Menschen hervor, die
denken können. Die Menschen bewegen sich zunächst innerhalb der
Naturkreisläufe, sind gezwungen, den allergrößten Teil ihrer Zeit zu
jagen und zu sammeln etc., um überhaupt überleben zu können.

Sie lernen, werden virtuoser, erfinden Werkzeuge, die ihre
Produktivität erhöhen. Dadurch ist mehr vorhanden, als zum
unmittelbaren Leben notwendig ist, d.h. es entsteht ein Mehrprodukt.
Dieses Mehrprodukt wird sich in einigen Gesellschaften solidarisch
angeeignet, in anderen privat. Die private Aneignung des Mehrprodukts
erlaubt die Freistellung von Arbeit und dadurch die Entwicklung von
weiterer Virtuosität und von Erfindungen, die wiederum die
Produktivität und damit das Mehrprodukt zu steigern erlauben. Die
Menschen können den ihnen zur Verfügung stehenden Reichtum ausdehnen.
Schließlich können die Menschen sogar über die Natur hinausgehen, z.B.
Metallarbeitung, Wasserkraft, Dampfmaschine, Webstuhl, industrielle
Revolution, maschinelle Produktion. Es entsteht eine Sphäre der
Produktion, mit eigenen Kreisläufen (Auto, Straße, Tankstelle), die
mit Naturkreisläufen nicht mehr viel zu tun haben.

Durch diese Ausdehnung des Reichtums konnten Schrecken der Natur wie
Seuchen und Naturkatastrophen eingedämmt werden. Die Maschine erlaubt
die Reduktion menschlicher Arbeitszeit, und die Überwindung feudaler
Herrschaftsverhältnisse zugunsten der bürgerlich-kapitalistischen
Gesellschaft.

Motor dieser Entwicklung ist der kapitalistische Markt. Innerhalb des
Kapitalismus wird jedoch ein Grundproblem dieser Entwicklung nicht
durchbrochen: das Darwinsche "survival of the fittest" (Überleben des
Anpassungsfähigsten). D.h. es werden verschiedene Spezies
hervorgebracht, und im Konkurrenzkampf um Ressourcen überleben nur die
Anpassungsfähigsten (wobei es auch Nischen gibt, in denen auch mal
weniger Anpassungsfähige ihren Part spielen können, was aber das
Grundprinzip nicht wesentlich ändert). Ähnlich konkurrieren auf dem
kapitalistischen Markt Kapitalisten (und auf dem Arbeitsmarkt
Arbeitnehmer), und die Anpassungsfähigsten setzten sich durch. Dieses
Prinzip wirkt wie eine Art "Glocke", eine Schwerkraft, die die
Entwicklung der menschlichen Möglichkeiten beschränkt.

Die Sphäre der Produktion hat bereits Vollautomation hervorgebracht
(fast menschenleere Fabriken, die wie von Geisterhand getrieben
materiellen Reichtum erzeugen). Aber im Kapitalismus wird die
Vollautomation nur dort vorangetrieben, wo es mehr Profite bringt. In
den USA gibt es bereits eine Kritik am Grad der europäischen
Automatisierung. Zugespitzt lautet die Kritik, es sei besser, keine
Schuhputzautomaten aufzustellen, sondern wieder menschliche
Schuhputzer diese Arbeit machen zu lassen, um
(Billiglohn-)Arbeitsplätze zu schaffen. Dies ist in meinen Augen eine
unmenschliche Argumentation: ein zentrales Anliegen muss sein, die
naturwüchsige "Glocke" über der Entwicklung der Produktion zu lüften
und Vollautomation (und zunehmend auch) künstlicher Intelligenz, als
konsequente Weiterentwicklung der Vollautomation zum Durchbruch zu
verhelfen.

Andererseits birgt die Maschine auch ziemliche Gefahren: plumpe
Dinosaurier-Technologie wie Atomkraftwerke, Überwachungsstaat
(Fußfesseln, Chipkarte), "Big brother" als "Faschisierung des Alltags"
(taz), Flucht ins Virtuelle, Terminator-Technologie (Meisterschaften
der sich gegenseitig zerstörenden Roboter, unbemannte Drohnen, die
Bomben werfen), Vereinzelung und Verapparatung (wir alle hängen
vereinzelt vor den Bildschirmen), bis hin zu den Borgs aus der
Science-Fiction-Serie "Star Trek": Mensch-Maschinen-Wesen ohne
Individualität, die anderen Kulturen nicht plump zerstören, sondern
assimilieren, d.h. das Beste von ihnen aufnehmen und integrieren.
Heute besteht noch ein Spannungsfeld zwischen Globalismus &
Vereinzelung: Gleichschaltung der vereinzelten, tendenziell nur noch
vermittelt über die Maschine kommunizierenden Individuen durch den
globalen Markt. Bei den Borg klappt dieses Spannungsfeld zusammen: sie
sind keine Individuen mehr, sondern nur noch über das maschinelle
Kollektiv handlungsfähig.

Der Kampf um die Humanisierung der Maschine ist also notwendig und in
vollem Gange. Wichtig ist dabei, Naturkreisläufe wahr- und
ernstzunehmen, und sanfte Technologie zu entwickeln, wie z.B. den
vollautomatischen Kuhstall.

Diskussion
----------

Einwand

     Schaut da nicht ein Geschichtsdeterminismus, wie wir ihn aus
     unfreundlichen alt-marxistischen Theorien kennen, um die Ecke?

Antwort

     Diese Geschichtsphilosophie ist nicht die Wahrheit, sondern eine
     Interpretation von Geschichte auf der Grundlage der Philosophie
     des menschlichen Selbstbewusstseins. Zudem bin ich nur auf einen
     Aspekt menschlicher Geschichte, nämlich das Verhältnis von Natur
     & Maschine eingegangen - eben nicht als Hauptwiderspruch, sondern
     als einen Bereich neben anderen, der allerdings bearbeitet werden
     muss, wenn wir weiterkommen wollen.

Einwand

     Die Technik-Begeisterung nach der Devise "Künstliche Intelligenz
     macht die Menschen überflüssig" ist höchst problematisch.

Antwort

     Die Gefahren der Verselbständigung von Technik sind oben
     ausführlich genannt worden. Die Automatisierung und die
     Entwicklung von künstlicher Intelligenz ist ein realer Prozess;
     die Aufgabe ist der Kampf um die Humanisierung dieses Prozesses
     und seines Ergebnisses. Die Entwicklung der technokratischen
     Apparate geht tatsächlich dahin, dass Menschen mehr und mehr
     überflüssig werden (aktuelle Schätzungen sprechen davon, dass nur
     noch 20% der Menschen von der Ökonomie gebraucht werden). Der
     Kampf um eine humane Welt besteht also auch darin zu zeigen, dass
     (alle!) Menschen eben nicht überflüssig sind, trotz der
     Entwicklung von künstlicher Intelligenz, und dass sie im
     Zusammenspiel mit (einer humanisierten) KI ihre Möglichkeiten
     erhöhen können.

Motoren der Ökonomie
====================

In der kapitalistischen Ökonomie ist der Markt der Motor der
Entwicklung; seine Deckelung in real-"sozialistischen"
Planwirtschaften führte zur Versumpfung. (Was passiert, wenn zehn
Planwirtschaftler nach Ägypten gehen? - Zehn Jahre erstmal gar nichts.
Dann wird allmählich der Sand knapp.) Entsprechend ist die DDR
schließlich vor allem ökonomisch zusammengebrochen. Im Kapitalismus
sind dagegen die Menschen das Schmiermittel des Motors Markt - immer
noch ziemlich ungemütlich.

Was könnte den Markt als Motor der Ökonomie ersetzen? Demokratisches
Wirtschaften basiert auf Natur & Maschine als zwei eigendynamischen
Motoren der Ökonomie. Die Menschen haben dann auf die realistische
Aufgabe der Humanisierung von Natur & Maschine, der Feinsteuerung der
Balance zwischen diesen Sphären.

Diskussion
----------

Frage

     Wieso sind Natur & Maschine eigendynamische Motoren? Der Markt
     basiert auf dem Zwang, aus Geld mehr Geld zu machen. Inwieweit
     schafft Natur mehr Natur, und Maschine mehr Maschine?

Antwort

     Natur hat eine Eigendynamik: wenn man ein Feld brach liegen
     lässt, führt die natürliche Sukzession dazu, dass etwas wächst,
     ohne dass die Menschen etwas dazu tun müssten. Frühling, Sommer,
     Herbst und Winter sind ein ständiger Kreislauf, der aber eben
     sich selbst genügt. Eigendynamik bedeutet ja nicht notwendig
     Wachstum, sondern nur Funktionieren jenseits von menschlichen
     Eingriffen.

     Vollautomation geht schon stark in Richtung Eigendynamik der
     Maschine; diese wird vollständig erst mit künstlicher Intelligenz
     erreicht: dann wird Maschine unabhängig von den Menschen, und
     dann schafft Maschine in der Tat mehr Maschine. Allerdings sind
     Menschen & Maschine bereits jetzt untrennbar verwoben; die
     Aufgabe der Humanisierung stellt sich bereits jetzt und nicht
     erst, wenn die Eigendynamik erreicht ist.

Einwand

     Die Vollautomation entledigt uns ja noch nicht von dem Problem,
     dass bestimmte Stoffe in bestimmten Quantitäten vorhanden sein
     müssen. Eine vollautomatische Weltplanungsmaschine ist eine
     absurde Phantasie. Wie soll die Arbeitsteilung koordiniert
     werden? Die (z.B. gestern in einer Veranstaltung angestellten)
     Überlegungen, Arbeitsteilung in lokalen Bereichen vorzunehmen und
     nur bei bestimmten Fragen darüber hinauszugehen, haben mit
     Automation nichts zu tun. Eine lokale Produktion mit
     computergesteuerten Werkzeugmaschinen wird kaum den dafür
     benötigten Stahl auch lokal produzieren können, und auch sicher
     nicht vollautomatisch.

Antwort

     Ich bin für eine schwerpunktmäßig lokale Versorgung z.B. mit
     Nahrungsmitteln (das praktizieren wir auch in Bremen), aber Dinge
     wie Stahlproduktion bedürfen natürlich größerer Vernetzung im
     europäischen oder sogar Weltmaßstab.

     Vollautomatische Planung existiert ja bereits. Die großen
     multinationalen Konzerne sind ja planwirtschaftlich
     organisiert...

Einwand

     Lenin hat geglaubt, dass die Wirtschaft wie die deutsche Post
     organisiert werden kann. Ich habe bei Philips und bei Siemens
     gearbeitet: dort war das Chaos pur. Das einzige
     Koordinationsmittel sind unternehmensinterne Märkte, durch die
     die Menschen gezwungen werden, etwas zu tun. Es gelingt überhaupt
     nicht, das in irgendeiner Weise zu kontrollieren. Die Planung in
     so einem Konzern erstreckt sich auf nicht mehr als vier Monate,
     weil sie nicht wissen, was nach vier Monaten passiert.

Antwort

     Bei VW in Hannover wird sehr detailliert geplant, wann welches
     Material bzw. welche Teile von den Zulieferern benötigt werden,
     um die Autos zusammenzubauen. Man gibt den Kundenwunsch nach
     genauer Ausstattung des Autos in einen Datenträger ein, der auf
     der vollautomatischen Fertigungsstraße mitläuft, und dann werden
     die Teile entsprechend eingebaut. Hier gibt es also eine
     weitgehende Planung durch die Maschine. Ein Bahner sagte mir, den
     europäischen Bahnfahrplan in die Computer zu bringen, sei
     komplexer als viele Produktionsanlagen, und auch dies
     funktioniert inzwischen mehr oder weniger automatisch. Um
     tatsächlich hier einen Durchbruch zu erzielen, wird künstliche
     Intelligenz benötigt, die solche Planungsprozesse in die Hand
     nehmen kann. Das Wichtige ist, dass die Menschen die Oberhand
     behalten über die Grundfragen, wie produziert werden soll, ob
     z.B. bestimmte Materialien lieber nicht eingesetzt werden sollen,
     weil sie ökologisch problematisch sind. Oder die Frage, ob wir
     mehr arbeiten wollen für einen höheren Konsumstandard, oder
     lieber bei niedrigerem Konsumstandard mehr Freizeit genießen
     wollen. Dies sind ökonomische Fragen, die die Gesellschaft
     entscheiden muss, und die nicht durch einen starren Plan
     vorgegeben werden dürfen. Hingegen die Detailplanung
     basisdemokratisch diskutieren zu wollen, ist bereits auf lokaler
     Ebene schwierig. In Planwirtschaften haben sich bisher immer die
     Pläne zu Herrschaftswissen entwickelt. Deswegen sehe ich gar
     keine andere Chance, als die Detailplanung soweit zu
     automatisieren, dass sich die Menschen darauf konzentrieren
     können, die wesentlichen Parameter zu bestimmen - durch eine
     demokratische Diskussion.

Einwand

     Eine basisdemokratische Diskussion über Finanzen und
     Arbeitszeiten ist ab einem bestimmten Punkt unmöglich. Aber die
     Industrie hat das auch für sich gelöst: fraktale Firmen, die in
     kleine Unterfirmen aufgeteilt sind, so dass Unterfirmen desselben
     Konzerns sich gegenseitig Konkurrenz machen. Da wird das auf
     kleine Einheiten runtergebrochen. Andererseits haben auch
     anarchistische Gesellschaften sich in kleine Einheiten
     aufgeteilt, die für sich diskutiert und geplant haben, allerdings
     so, dass die Gesamtgesellschaft die Vorgaben gegeben hat. So wie
     in Industriebetrieben Werkzeuge und Material gestellt werden, und
     die Arbeiter müssen produktiv werden, wie, können sie selbst
     entscheiden, aber die Rahmenbedingungen sind vorgegeben.

     Automobilkonzerne sind ein Extermbeispiel. Konzerne wie Siemens
     oder Philips sind Mischkonzerne, bei denen Chaos herrscht und
     keine zentrale Planung.

Antwort

     Ich bin sehr für selbstorganisierte Prozesse. Große Mischkonzerne
     hingegen braucht man meiner Meinung nach nicht. Eine freie
     Produktion wird sich nach Sparten aufteilen, nicht nach
     Profitbildung. Zudem stimmt die Gleichsetzung Dezentralisierung =
     Markt nicht. Bestes Gegenbeispiel ist die Entwicklung von Linux:
     anarchistisch-dezentral, mit sehr loser zentraler Koordination
     über das Internet, aber eben ohne Markt. Die Frage ist eher, wie
     tragfähig diese dezentralen Strukturen schon sind und wann sie
     reif genug sind, die zentralistischen Strukturen abzulösen.

Einwand

     Wer geht auf die Erdölfelder, wer geht holt die Kohle aus der
     Erde, wer geht in die Hütte und produziert den Stahl? Diese
     Stoffe brauchen wir (auch gerade für die Automatisierung),
     zumindest bis etwas anderes gefunden wurde. Diese Frage wird hier
     ausgeblendet. Das ist notwendige die Arbeit, die wirklich Scheiße
     ist. Ich hätte keine Lust dazu, auch nicht als Ingenieur.

Antwort

     Kohle und Öl sollten wir natürlich schnellstmöglich durch
     regenerative Energien ersetzen. Bereits jetzt werden autonom
     agierende Roboter in Kohlegruben eingesetzt, wenn auch nur zur
     Erkundungszwecken. Die Robotisierung entwickelt sich aber so
     schnell weiter, dass es bald technisch möglich sein würde, Kohle,
     Öl und Stahl auch automatisch zu gewinnen. Ob das auch realisiert
     wird, hängt im Kapitalismus davon ab, ob es profitabler ist, als
     Menschen einzusetzen.

          "Ein Roboter ging voran bei der Erkundung einer Kohlgrube,
          die beißenden Rauch und Hitze ausstieß und dadurch den
          unterirdischen Durchgang für Tage unpassierbar machte. (...)
          Dies war das erste Mal, dass ein Roboter im Vorfeld in eine
          Kohlegrube geschickt wurde, um zu gewährleisten, dass die
          Bedingungen sicher waren. (...). Wir brauchten keine
          Menschen dorthin zu schicken, weil wir den Roboter hatten.
          (...) Könnte der Roboter, genannt V-2, der erste einer
          langen Reihe von solchen Maschinen sein, die in
          unterirdischen Kohlegruben arbeiten?"
          (http://www.aaai.org/AITopics/html/rescue.html, Übersetzung
          von mir)

          "Viele Güter werden heute in menschenleeren Fabriken
          hergestellt, die Rolle des Menschen dabei ist immer mehr
          eher durch Design und Vermarktung des Produkts oder
          Konzeption und Überwachung der Produktionstechnik
          gekennzeichnet als durch handwerkliche Herstellung von
          Artefakten."

          "Der Mensch findet sich in einer Welt wieder, in der viele
          seiner bisherigen Aufgaben und Fähigkeiten von Maschinen
          übernommen und ausgeübt werden können, er muss sich
          vergegenwärtigen, dass er teilweise ersetzbar ist und sich
          auf das besinnen, was ihn von der Maschine unterscheidet
          (siehe auch Wissensgesellschaft)"
          (http://de.wikipedia.org/wiki/Automatisierung)

          "Heutzutage können die neuen intelligenten Technologien
          einen großen Teil menschlicher Arbeit ersetzen - sowohl
          körperliche als auch geistige. (...) Bauernhöfe, Fabriken
          und viele Weiße-Kragen-Dienstleistungsbetriebe werden in
          rascher Folge automatisiert. Immer mehr körperliche und
          geistige Arbeit, von den einfachsten, immer gleichen
          Hilfstätigkeiten bis hin zu konzeptionell höchst
          anspruchsvollen Spezialaufgaben, wird im 21. Jahrhundert von
          billigeren und leistungsfähigeren denkenden Maschinen
          erledigt werden. (...) Das Industriezeitalter bereitete in
          den USA der Sklavenarbeit ein Ende, das
          Informationszeitalter wird der massenhaften Lohnarbeit den
          Garaus machen." (Jemery Rifkin, Das Ende der Arbeit und ihre
          Zukunft, Neuauflage, Frankfurt/New York2004, S. 22-25

Weitere Grundsätze demokratischen Wirtschaftens
===============================================

Gemeineigentum an Produktionsmitteln, aber nicht als Staatswirtschaft,
sondern als basisdemokratisch kontrollierte Produktion. D.h. die
Produzierenden unterliegen der Wahl und Abwahl durch die Bevölkerung.
Innerbetriebliche Demokratie ist natürlich auch wichtig, aber die
Gesellschaft muss auch die Möglichkeit haben, z.B. die Ansiedelung
eines Gentechnik-Betriebs zu verhindern, selbst wenn sich die
Mitglieder dieses Betriebs einig sind.

Diese Demokratisierung ist nur möglich auf Grundlage einer massiven
Arbeitszeitverkürzung, denn Basisdemokratie braucht Zeit. [3] Über
lokale Zusammenhänge sind die Menschen eingebunden in die
gesellschaftliche Diskussion. Wirtschaft ist sehr komplex, nur grobe
Linien können überhaupt demokratisch mitbestimmt werden. Um sich in
diesem Sinne mündig zu machen, d.h. überhaupt erstmal herauszufinden,
bei welchen Fragen man mitentscheiden möchte, und dann von diesen
Fragen eine gewisse Grund-Ahnung (nicht mehr, das muss für eine
Entscheidung ausreichen) zu bekommen, brauchen die Menschen einen
Freiraum.

Freie kooperative Arbeit und freie Verteilung wie bei Linux. Näheres
siehe unten unter "Versuch einer positiven Bestimmung von lokaler
Praxis".

Diskussion
----------

Einwand

     Arbeit wird als etwas Schlimmes gesehen. Es gibt aber Menschen
     (z.B. Erdbeerzüchter, Tischler, oder in einer Käserei
     Arbeitende), die ihre Arbeit lieben, sie befriedigend finden und
     sie nicht missen möchten (selbst wenn sie "schmutzig" ist). Durch
     Automatisierung stellt man Arbeit als etwas Schlechtes hin. Es
     sollte die Möglichkeit geben, demokratisch zu entscheiden: wir
     wollen arbeiten. Handwerk ist ein Stück Kultur, welches durch
     Vollautomation zerstört wird.

Antwort

     Marx unterscheidet zwischen "Reich der Notwendigkeit" und "Reich
     der Freiheit", zwischen notwendiger Arbeit und freier Tätigkeit.
     Es gibt Arbeiten, wie z.B. Müllabfuhr, die u.U. nicht mit
     kreativer freier Tätigkeit verbindbar sind. Diese notwendige
     Arbeit kann durch Automation minimiert werden.

Einwand

     Du machst eine Einteilung zwischen Spaß und notwendiger Arbeit.
     Es kommt dabei heraus, dass notwendige Arbeit etwas Schreckliches
     ist. Ich meine aber, dass notwendige Arbeit auch etwas Positives
     sein kann. Derjenige, der z.B. eine Käserei betreibt, kann das
     aus Leidenschaft machen und eine Qualität und Vielfalt von
     Produkten erreichen, die eine vollautomatische Produktion nie
     erreichen würde. Handwerklich hergestellte Spezialprodukte und
     Kleinserien werden mit einem unglaublichen Wissen und Spaß
     gefertigt. Erfahrung und Lebenswissen, das man auch weitergeben
     kann. Das ist auch eine kulturelle Aufgabe. Gleichzeitig ist dies
     eine Form von Notwendigkeit: die Menschen wollen Milchprodukte
     haben, und man kann sie in lokalen Verbänden in kleinen Mengen
     und hoher Qualität produzieren, natürlich auch mit einem
     bestimmten Einsatz an schlichter Technik. Die Menschen sollten
     wählen können, ob sie automatische Massenproduktion wollen, um
     viel freie Zeit zu haben, oder ob sie lieber handwerkliche Arbeit
     als Notwendigkeit begreifen wollen.

     Gerade in der handwerklichen Produktion, z.B. in einer
     Schreinerei, sind Qualitäten möglich, die weder in der
     vollautomatischen Produktion noch im Hobby möglich sind.

Antwort

     Handwerkliche Tätigkeiten, z.B. Töpfern, können als Kreativ-Sein
     begriffen werden. Wieso muss das unbedingt notwendige Arbeit
     sein? Handwerk kann als freie Tätigkeit weiter existieren: wenn
     ich einen Schrank schreinern oder eine Hose nähen will, kann ich
     das selbstverständlich tun. Wenn ich aber keine Lust dazu habe
     und auch niemand anders finde, der dazu Lust hat, hole ich mir
     meinen Schrank und meine Hose eben aus der vollautomatischen
     Produktion, und kann sie ggf. danach noch individuell bearbeiten.
     D.h. die Notwendigkeit wurde reduziert, die Freiheit erhöht.

Frage

     Keimform von was? Neue Form von Ökonomie, Gesellschaft, Politik?

Antwort

     Keimform einer Ökonomie, die aber nur eine Sphäre menschlicher
     Existenz darstellt. Oekonux meint damit aber nicht nur die
     Ökonomie, sondern die gesamte Gesellschaft. Es geht darum, die
     Dominanz des Ökonomischen in der Gesellschaft zurückzudrängen. Ob
     die Ökonomie ganz abgeschafft werden kann, wie es einige bei
     Oekonux meinen, wage ich zu bezweifeln. Ich meine, es ist
     wichtig, ein Reich der Notwendigkeit gesellschaftlich
     auszuweisen. Notwendigkeiten müssen dabei nicht stumpf
     abgearbeitet werden, sondern können natürlich freiheitlich
     angereichert werden, so dass sie auch Spaß machen können. Sie
     können aber nicht völlig ins Reich der Freiheit aufgelöst werden.

Frage

     Könnte Arbeit als Begriff kapitalistischer Ausbeutung nicht auch
     ganz wegfallen?

Antwort

     Die Vorstellung, dass Individuen & Gesellschaft von selbst in
     Einklang kommen, widerspricht jeder Erfahrung. Wo wird so etwas
     auch nur in Ansätzen praktiziert? Realistischer ist die
     "Befreiung der Arbeit von der Lohnarbeit" (Marx). D.h.
     Selbstentfaltung alleine reicht nicht aus, sondern müssen die
     verbleibende notwendige Arbeit bestimmen. Darunter fällt z.B. die
     Humanisierung (u.a. Humanisierung von Natur und Maschine),
     basisdemokratische Organisation der Gesellschaft,
     Kindererziehung, Alten- und Krankenpflege.

Einwand

     Gerade bei der Alten- und Krankenpflege ist die Automation
     besonders reizvoll, da für jede Krankheit und Altersschwäche die
     zu leistenden Aufgaben genau definiert und die Roboter darauf hin
     konstruiert werden können. Es muss nur verhindert werden, dass
     alte Menschen niemanden zum Reden haben. Allerdings könnte in 50
     Jahren vielleicht ein Roboter sich besser mit alten Menschen
     unterhalten als ein schlecht ausgebildeter Krankenpfleger, weil
     er viel wissenschaftlicher auf die Anforderungen eingehen kann,
     dafür konstruiert ist. Es ist also inhuman, Menschen mit diesen
     Aufgaben zu belasten.

Antwort

     Ich finde es inhuman, Alten- und Krankenpflege Robotern zu
     überlassen (oder Schimpansen; beides wird bereits praktiziert).
     Roboter können zwar Routinearbeiten erledigen und insofern
     unterstützend wirken, aber menschliche Kreativität und soziale
     Kompetenz nicht ersetzen. Es gibt auch sehr erfolgreiche Modelle
     der Betreuung von alten Alten z.B. durch junge Alte. Das Aufgabe
     ist die Überwindung der Vereinzelung, Kooperation zu lernen.

Was heißt das für eine lokale Praxis vor Ort?
=============================================

Kritik einiger existierender Ansätze
------------------------------------

Rudi Dutschke [4] hat die Idee entwickelt, stagnierende
Produktionszweige zu übernehmen. In den 1970er und 1980er Jahren
wurden vielfach Konkurs gegangene Betriebe von den Belegschaften
übernommen und als Alternativbetriebe selbstverwaltet weitergeführt,
z.B. in Bremen der Arbeitnehmerbetrieb Windenergie. Heute sind daraus
auf Grund des Zwangs, sich am Markt zu behaupten, großteils wieder
normale kapitalistische Betriebe geworden, in denen ein Chef
entscheidet und ggf. auch Mitarbeiter entlässt. "Sozialismus in einem
Betrieb" ist nicht möglich.

Parallel gibt es eine staatlich geförderte Szene von NGOs
(Nichtregierungsorganisationen) und Projekten ("Zivilgesellschaft"),
die eine wichtige kritische Funktion in der Öffentlichkeit hat und
auch z.B. Beratung leistet, die aber in Zeiten knapper Kassen mehr und
mehr beschnitten wird und daher extremen Anpassungszwängen unterliegt.

Tauschringe haben sich weltweit als ökonomische Selbsthilfe entwickelt
und zur Belebung von Regionen geführt, die der Weltmarkt links liegen
lässt. Sie verbleiben jedoch in der Privatarbeit und dringen
allenfalls zur kooperativen Tauscharbeit, aber nicht zur freien
Kooperativarbeit vor. Privatarbeit heißt Arbeit, um den eigenen
Lebenserwerb zu sichern, gegen Bezahlung. Bei kooperativer Arbeit
kooperieren Menschen freiwillig, nicht durch einen Tauschwert
vermittelt, wie es z.B. bei der Entwicklung von Linux praktiziert
wurde und wird. Tauschringe bleiben aufgrund des
Privatarbeit-Charakters immer Ergänzung zum Weltmarkt (wie z.B. Sven
Giegold empirisch nachgewiesen hat), während mit freier kooperativer
Arbeit ein Produkt an der Spitze der technologischen Entwicklung
geschaffen werden konnte, nämlich GNU/Linux.

Diskussion
----------

Einwand

     Markt bedeutet ja auch Kooperation: jeder arbeitet, um Geld zu
     bekommen, mit dem er dann von anderen die Arbeit/Produkte
     einkaufen kann, die er selbst nicht leisten/herstellen kann.

Antwort

     Allerdings ist die marktvermittelte Kooperation eine erzwungene,
     entfremdete Kooperation. Die Marktteilnehmer sind gezwungen, auf
     bloße Vermutung hin etwas zu produzieren (oder eine Ausbildung zu
     erwerben), der Markt lehrt sie erst hinterher, was gefragt ist
     und was nicht. Zudem untergräbt die Konkurrenz die Kooperation
     (Microsofts Geschäftsmodell basiert z.B. auf extrem
     nicht-kooperativem Verhalten). Freie Kooperation hingegen basiert
     auf einer Diskussion über die Bedürfnisse, was wollen wir
     erarbeiten, wie können wir dafür kooperieren?

Einwand

     Auch für den Markt wird erst dann produziert, wenn vorher ein
     Bedarf analysiert wurde oder geweckt werden konnte.

Antwort

     Der Markt ist unter den Bedingungen einer Mangelwirtschaft sicher
     das am wenigsten schlechte Instrument, um Produktion und
     Konsumtion aufeinander abzustimmen. Nur werden die
     menschenunfreundlichen Nebenwirkungen des Marktes heute immer
     deutlicher. Microsoft Windows 95 wurde mit einer riesigen
     Werbekampagne, mit einer Medienmanipulation an den Markt
     gebracht, und führte zu einer Monopolstellung. Die Monopolbildung
     hat schon Marx analysiert: die Großen fressen die Kleinen. Nur
     sehr große Konzerne ("global Players") können noch dem
     Konkurrenzdruck überhaupt standhalten, was auch zur aktuellen
     Welle von Fusionen führt. Das heißt, dass der Markt ein
     totalitäres System geworden ist. Einzelne Konzerne sind
     marktbeherrschend und können die Bedingungen der Kooperation
     diktieren. Z.B. schreiben Automobilkonzerne ihren Zulieferern
     detailliert vor, wann sie welche Teile - just in time - wo
     hinzuliefern haben. In Indien bringen sich reihenweise Bauern
     selbst um, weil sie für ihre Baumwolle auf dem Weltmarkt nur noch
     einen Preis erhalten, der unter den Produktionskosten liegt.

Einwand

     Wieso Kritik an autark arbeitenden Gruppen, wie z.B. den
     Hutterern? Sollen diese verboten werden?

Antwort

     Die Hutterer wurden von Wolfgang Polatzek in seiner gestrigen
     (d.h. am 20. Mai 2004 stattgefundenen) Veranstaltung "Von der
     lokalen zur transformativen Ökonomie" [5] als Beispiel für eine
     autark wirtschaftende Gemeinschaft genannt. Sie sind allerdings
     eben auch eine autoritäre christliche Sekte. Autark
     wirtschaftende Gemeinschaften haben eine derartig niedrige
     Produktivität, dass sie nur durch ein autoritäres Prinzip von den
     materiellen Verlockungen des Kapitalismus und den Fliehkräften
     des kapitalistischen Marktes ferngehalten werden können
     (praktische Gegenbeispiele müssten mir ggf. aufgezeigt werden).
     In den israelischen Kibbuzim stehen die Kinder regelmäßig vor der
     Entscheidung, ob sie im Kibbuz oder in der umgebenden
     kapitalistischen Gesellschaft weiterleben wollen. [6] Vielfach
     lernen sie auch beide Welten kennen, bevor sie sich entscheiden;
     für eine selbstbewusstse Entscheidung ist dies wohl unerlässlich.
     Dass die Kinder der Hutterer eine solche Entscheidungsfreiheit
     nicht haben, finde ich nicht in Ordnung.

Versuch einer positiven Bestimmung von lokaler Praxis
-----------------------------------------------------

1999 wurde in Hamburg der erste Umsonstladen gegründet; inzwischen
gibt es bundesweit 27 Umsonstläden (siehe http://www.umsonstladen.de
[http://www.umsonstladen.de/]). Das aus der freien Software bekannte
Prinzip der freien Verteilung wird dort auf materielle Güter
übertragen: alle können Dinge bringen, die sie nicht mehr brauchen,
oder Dinge mitnehmen, die sie brauchen. Bringen und mitnehmen sind
nicht gekoppelt; es gibt kein Tauschprinzip. Die Umsonstläden erlauben
die Erfahrung zu machen, dass materieller Reichtum ohne menschliche
Arbeit vorhanden ist.

Die Grenze der Umsonstläden besteht in ihrer Abhängigkeit von den
Abfällen der kapitalistischen Warenproduktion. Es ist nicht möglich,
dort gezielt bestimmte Produkte zu bekommen.

Die freien Grundversorgungsläden der Bremer Commune hingegen
konzentrieren sich auf einen internen ökonomischen Zirkel, um diese
Schranken zu überwinden. Sie garantieren einen vorher
basisdemokratisch festgelegten minimalen (Über-)Lebensstandard. Der
Aufwand dafür (Arbeit, und solange die kapitalistische Ökonomie uns
umgibt, auch noch Kosten) wird solidarisch auf alle verteilt. Also
freie Verteilung in einem materiellen Bereich, wo es darauf ankommt:
wenn ich z.B. meinen Tomatenaufstrich nicht um Grundversorgungsladen
finde, bekomme ich schon organisatorische Probleme, weil ich es nicht
mehr gewöhnt bin, im Supermarkt einzukaufen.

Diese Läden beschränken sich zunächst allerdings auf die Verteilung.
Woher kommen die Produkte? Wie oben ausgeführt, bietet die Übernahme
stagnierender Produktionszweige keine Perspektive in Richtung freier
kooperativer Arbeit.

Keine Emanzipationsbewegung wird das Kapital haben, vollautomatische
Betriebe innerhalb des Kapitalismus zu übernehmen (und wenn sie es
hat, musste sie sich höchstwahrscheinlich dafür so vielen Mechanismen
unterwerfen, dass es sich nicht mehr um eine Emanzipationsbewegung
handelt).

Die Bremer Commune praktiziert Simulation von Vollautomation. Wir
nehmen den Zustand vorweg, dass vollautomatisch produzierte Produkte
frei verteilt werden. Durch intelligenten Einsatz von Arbeit und Geld
können wir vollautomatisch produzierte Produkte kaufen, nicht ohne
deren Produktionsprozess zu untersuchen: könnte man solche eine
produzierende Fabrik als freie Fabrik weiterführen? Oder zumindest in
eine humanisierte Produktion umwandeln? Nur solche Produkte kommen in
den Laden. Die Grundversorgung umfasst z.B. Lebens- und
Körperpflegemittel, aber auch PC und Internet (wobei eine Untersuchung
der PC-Produktion noch aussteht).

Für die Produkte muss noch Geld ausgegeben werden, solange wir keinen
unmittelbaren Zugriff auf die Vollautomation haben. Das Geld wird
erwirtschaftet über Teilzeit-Erwerbsarbeit, wir sind also Grenzgänger
zwischen Erwerbs- und Nicht-Erwerbswelt. Bei Finanzierung eines
Projektes (und nicht der Individuen) über Marktverkauf oder
Staatsknete drohen Integrationsmechanismen, es kommt bestenfalls nur
eine Reform des Kapitalismus heraus (die ja nicht abzulehnen ist, aber
möglicherweise eben nicht hinhaut: "Reform" ist heute schon Synonym
für Sozialabbau geworden).

Im Feudalismus hieß die Entscheidung: bleibe ich Leibeigener oder
fliehe ich und werde freier Stadtbürger? [7] Die Fesseln der
Leibeigenschaft konnten gesprengt werden: Stadtluft macht frei! (Auch
wenn der freie Stadtbürger dann auch frei von Produktionsmitteln war,
und daher gezwungen, seine Arbeitskraft zu verkaufen.) Heute ist die
Entscheidung die zwischen karriereorientierter Fixierung auf
Erwerbsarbeit(slosigkeit) einerseits und einer bewussten
Zweigleisigkeit andererseits. Bei der bewussten Zweigleisigkeit steht
nicht mehr die Erwerbsarbeit(slosigkeit) im Mittelpunkt der
Überlegungen, sondern die beiden Säulen Selbstorganisation &
Teilzeit-Erwerbsarbeit. [8] Aus der Selbstorganisation schöpfe ich den
Rückhalt, die Erwerbsarbeit auf Teilzeit zu begrenzen - gegen die
immer noch großen Vorbehalte des Mainstreams gegen Teilzeit.

Die Freie-Software-Bewegung mit GNU/Linux ist eine praktizierte
konkrete Utopie. Demokratisches Wirtschaften geht aber darüber hinaus.
Wir brauchen deshalb auch praktizierte Alternativen vor Ort, die die
Tauglichkeit dieser Ansätze überprüfen, Stadtteilzentren, in denen
oben skizzierte lokale Praxis Wirklichkeit wird.

Diskussion
----------

Einwand

     Die freien Grundversorgungs-Läden sind nicht frei. Sie basieren
     auf kollektivem Tausch und solidarischer Verteilung.

Antwort

     Im Kapitalismus gibt es keine befreiten Inseln. Auch die
     Programmierer der Freien-Software-Bewegung müssen sich
     kapitalistisch reproduzieren, ihr Geld verdienen. Auch die
     Infrastruktur des Internets wird von kapitalistischen Unternehmen
     bereitgestellt. Was bleibt ist die Möglichkeit, klare Strukturen
     zu entwickeln, eine Teilrealität, innerhalb derer neue Prinzipen
     praktiziert werden. Nach außen hin sind immer Marktbeziehungen
     notwendig, solange der Kapitalismus existiert. Das ist in der
     freien Software-Bewegung nicht anders als im freien
     Grundversorgungs-Laden.

Einwand

     Der Markt führt von selbst zur Automation, da nur dies erlaubt,
     Güter günstig anzubieten. Man muss also nur Geduld haben, und die
     Produktion automatisiert sich von selbst.

Antwort

     Nicht ganz, siehe die oben beschriebenen US-Entwicklungen zum
     manuellen Schuhputzer. Der Kapitalismus automatisiert nur dort,
     wo es sich für ihn ökonomisch lohnt, nicht unbedingt dort, wo
     monotone, gefährliche und/oder mühselige menschliche Arbeit
     ersetzt werden könnte. Zudem ist Automation noch längst nicht die
     freie Gesellschaft, sondern nur eine Grundlage unter anderen.
     Automatisch produzierte Güter werden z.B. ja nicht automatisch in
     demokratischer oder ökologischer Weise produziert, und auch nicht
     automatisch frei verteilt.

Frage

     Woher kommen Brot und Marmelade in den Grundversorgungs-Läden?

Antwort

     Die Grundversorgung wird in der Bremer Commune gemeinsam
     festgelegt und der Aufwand solidargemeinschaftlich auf alle
     umgelegt (Arbeitszeit + Geld). Wir suchen uns den progressivsten
     kapitalistischen Betrieb heraus, von dem wir das Brot kaufen.
     Selbst Brot zu backen, haben wir wegen des zu hohen (auch
     ökologischen) Aufwands wieder verworfen, es ist natürlich als
     Hobby weiterhin möglich.

Frage

     Also eine Konsumgenossenschaft?

Antwort

     Marx wies darauf hin, dass die Sphäre der Distribution nicht von
     der Sphäre der Produktion zu trennen und dass die Umwälzung der
     Produktionsbedingungen das Entscheidende ist:

          "Wir empfehlen den Arbeitern, sich eher mit
          Produktivgenossenschaften als mit Konsumgenossenschaften zu
          befassen. Die letzteren berühren nur die Oberfläche des
          heutigen ökonomischen Systems, die ersteren greifen es in
          seinen Grundfesten an." (Karl Marx, Instruktionen für die
          Delegierten des Zentralrats, MEW, Bd. 16, S. 195,196).

     Nur: Produktionsgenossenschaften bedeuten massive
     Selbstausbeutung und Produktion auf niedrigem Niveau (vgl. auch
     obige Kritik an Alternativbetrieben). Andererseits berühren
     Konsumgenossenschaften tatsächlich nur die Oberfläche des
     Systems. Was könnte ein Ausweg aus diesem Dilemma sein?

     Der Begriff der Grundversorgung weist bereits über den wahllosen
     Konsumismus der Konsumgenossenschaften hinaus. Zudem werden die
     Produkte für die Grundversorgungs-Läden nicht einfach eingekauft,
     sondern es gibt eine AG, die kapitalistische Produktionsstätten
     besucht und vor dem Hintergrund einer zukunftsfähigen Produktion
     beurteilt. Zudem ist die Verteilung, anders als bei einer
     Konsumgenossenschaft, intern frei, es gibt keine Kasse.

Frage

     Also eine Art Essens-Flatrate?

Antwort

     Wenn man so will. Allerdings ist die Grundversorgung nicht auf
     Essen beschränkt, sondern umfasst z.B. für jeden auch ein Fahrrad
     und einen PC mit Internetanschluss. Zudem verbleibt der Begriff
     der Flatrate sehr innerhalb der Konsumgenossenschaften, und
     blendet aus, dass der Grundversorgungs-Laden in ein
     globalisierungskritisches Stadtteilzentrum eingebunden ist, in
     dem auch gemeinsam Antworten auf die soziale Frage gesucht,
     weitere Lebensbereiche kooperativ organisiert und die Produktion
     der verteilten Güter kritisch unter die Lupe genommen werden. Es
     stellt sich also auch die Frage nach einer neuen, anderen
     Organisation von Gesellschaft.

Frage

     Wie sehen die Entscheidungsstrukturen aus? Wieso muss eine
     größere Gruppe über eine kleinere Gruppe Volksherrschaft
     (Demokratie) ausüben? Das Beispiel der anti-demokratischen
     Kommune Niederkaufungen zeigt doch, dass in einem Kreis von
     immerhin 60 Menschen ein Konsensprinzip möglich ist.

     Wir haben in Europa an demokratische Traditionen, in anderen
     Kulturen gibt es Konsensbildung. Da tun wir uns sicherlich
     schwer. Konsensbildung in kleinen Gemeinschaften hat sich
     kulturgeschichtlich bewährt.

Antwort

     Räte- und Basisdemokratie hat eine lange Geschichte von
     Erfahrungen (Pariser Commune, Arbeiter- und Soldatenräte 1918/19,
     68er-Bewegung, Prager Frühling). Es ist ganz entscheidend,
     basisdemokratische Strukturen zu entwickeln, auch damit Menschen
     auf die Ökonomie, die heute ein großer verselbständigter Apparat
     ist, Einfluss nehmen können. Eine Wirtschaft
     gesamtgesellschaftlich mit Konsensprinzip zu managen, halte ich
     für illusorisch. Von Niederkaufungen gibt es auch Berichte, dass
     das Konsensprinzip den Nachteil hat, dass ein Einzelner mit
     seinem Individualismus die ganze Gruppe blockieren kann. Wenn
     kein Konsens erzielt werden kann, dauert es manchmal tagelang,
     bis über undurchschaubare subtile soziale Mechanismen die
     Entscheidung in die eine oder andere Richtung kippt. Ich bin
     daher sehr für offene Aussprache und Abstimmung, falls kein
     Konsens gefunden werden kann - ich bin ja auch in mir selbst mir
     oft nicht einig. Natürlich heißt das nicht, in die formalen
     Kampfabstimmungsrituale von Parteitagen zu verfallen - sondern
     Austausche der Argumente und Diskussion, die oft ja auch zu einem
     Konsens führt - erst wenn dieser nicht erreichbar ist, kommt es
     zur Abstimmung. Aber gerade wenn es um komplexe gesellschaftliche
     Prozesse geht (Europa besteht z.B. aus 400 Millionen Menschen),
     ist eine Einigung im Konsens äußerst unrealistisch.

Frage

     Wieso hältst du an Demokratie, also an Herrschaft fest?

Antwort

     Ich bin kein reiner Anarchist, der glaubt, Individuum und
     Gesellschaft könnten unmittelbar deckungsgleich sein. Davon
     auszugehen, ist mir mit zu vielen Gefahren verbunden. Im
     globalisierten Kapitalismus sind die Individuen derart
     vereinzelt, dass Basisdemokratie erst mühsam gelernt werden muss.
     Gesellschaft ist ein komplexes System. Basisdemokratie ist
     anfällig für Störungen: da braucht man "herrschaftliche Mittel"
     (im Sinne von Durchsetzung basisdemokratischer Entscheidungen),
     um die Störung wieder ins Lot zu bekommen - oder aber die Gruppe
     (bzw. Gesellschaft) zerfällt schleichend. In Europa haben wir
     parlamentarische Demokratie, bei der die Menschen sich nur in
     sehr geringem Maße beteiligen können. Basisdemokratie in
     europäischem Maßstab ist also eine echte Herausforderung. Die
     Erfahrungen der Pariser Commune, Räterepublik, Grüne, Attac,...
     mit Rätedemokratie gilt es auszuwerten und auf ein neues Niveau
     zu bringen, um Basisdemokratie realisieren zu können. Praktische
     Erfahrungen mit unmittelbarer Deckungsgleichheit zwischen
     Individuum und Gesellschaft sind mir nicht bekannt.

Frage

     Wie stehst du zu Teilungen, also dem, was in der freien
     Software-Bewegung als "Fork" bezeichnet wird?

Antwort

     Grundsätzlich positiv. Auch wenn ich kein Verfechter von
     Tauschringen bin, finde ich den Ansatz der Tauschring-Szene
     interessant, sich ab einer bestimmten Obergröße (typischerweise
     300 Menschen) zellzuteilen. Allerdings sollte im Auge behalten
     werden, dass eine Teilung erst ab einer bestimmten Anzahl von
     Menschen wirklich weiterbringt. Wenn sich kleine Gruppen teilen,
     weil sie sich zerstritten haben, zeugt dies eher von defizitärer
     Streitkultur und führt zur Zersplitterung.

Einwand

     Es gibt eine uralte Auseinandersetzung in der Arbeiterbewegung:
     der Marxismus hat Konsum- und Produktionsgenossenschaften klar
     abgelehnt, was sich auch im Erfurter Programm der SPD
     widerspiegelt. Dies hat viele Diskussionen und soziale
     Experimente abgewürgt. Stattdessen wurde auf Großindustrie,
     zentrale Planung und ein deterministisches Weltbild gesetzt. Erst
     in den letzten Jahren ist diese Kontroverse zwischen
     Sozialdemokratie/Marxismus und Anarchismus wieder aufgenommen
     worden.

Antwort

     [9] Das Verhältnis von Politik und Ökonomie haben wir ja schon
     heute morgen bei Rauls Veranstaltung diskutiert. Ich gehe mit der
     Kritik am Marxismus überein: Marx hat das Politische überbetont:
     Organisation der Arbeiter, nicht Organisation der Arbeit. Er
     setzte also auf politischen Klassenkampf, in dem sich erst die
     Grundsätze einer neuen Gesellschaft herausbilden. Die
     Kooperativbewegung hat er eher verächtlich betrachtet. Ad
     absurdum geführt hat dies dann Lenin mit einer Erziehungsdiktatur
     von oben. Wir können aber eine neue Gesellschaft nur dann
     erreichen, wenn eine Teilrealität des Neuen schon innerhalb des
     Alten heranreift. Das ist ja auch die Keimform-Theorie von
     Oekonux. Marx selbst sah schon die Doppelfunktion von Revolution:
     Sturz der Herrschenden, und Befähigung der Menschen zur
     Begründung einer neuen Gesellschaft - nur die zweite Funktion hat
     er links liegen gelassen. Es ist aber wichtig, diese beiden
     Aspekte zu verkoppeln: heute die globalisierungskritische
     Bewegung und die Frage nach einer neuen Ökonomie und
     Gesellschaft. Wir sollten uns aber nicht der Illusion hingeben,
     mit Alternativ-Experimenten schon komplette befreite Inseln
     schaffen zu können: die Experimente werden immer einem starken
     Druck ausgesetzt sein. Deshalb ist gerade die Verbindung zu
     politischen Bewegungen wichtig, um diesen Druck nach außen zu
     geben und weitere Freiräume zu erkämpfen.

Frage

     Das politische Zentrum in Stuttgart, aus dem ich komme, ist sehr
     auf Politik fixiert. Die Organisierung der Arbeit ist dort ein
     blankes Feld. Ich kann mir aber nicht vorstellen, wie ich das den
     Leuten dort schmackhaft machen und plastisch erklären könnte,
     dass die (Re)produktion kollektiv und freier angegangen werden
     soll. Kannst du das etwas ausmalen, wie das in Bremen läuft?

Antwort

     Über unsere Läden wird eine freie Grundversorgung für alle
     gewährleistet (Lebensmittel, Solidargemeinschaftsküche,
     Körperpflege, Fahrrad, internetfähiger PC, Lebens- und
     Arbeitsberatung...). Neben einer gewissen Arbeit für diese
     Grundversorgung aktivieren wir uns ganzheitlich in verschiedenen
     existenziellen Grundlagen, d.h. ein Technik-Freak muss auch mal
     raus und Naturkreisläufe wahrnehmen und umgekehrt. Monatlich gibt
     es einen demokratischen Wirtschaftstag, bei dem Arbeit und Geld
     zusammenfließen (die Grundversorgungs-Notwendigkeiten werden
     gleichmäßig auf alle umgelegt; für individueller Konsum muss ggf.
     mehr gearbeitet werden). Was die Finanzen betrifft, ist der
     Einstiegsbeitrag 35 Euro. Über eine gemeinsame Kasse gibt es
     einen sozialen Ausgleich. Da wir das Geld abschaffen wollen,
     brauchen wir eine andere Form der ökonomischen
     Vergesellschaftung. Dies machen wir über Arbeitsstunden, d.h.
     über die gesellschaftlichen Arbeitsnotwendigkeiten führt jeder
     Buch, allerdings nur zur Selbstkontrolle, und zum gemeinsamen
     Austausch darüber, wie es mit den Notwendigkeiten gerade klappt.
     Als z.B. die Aktivierungen nicht so gut klappten, wurde dies in
     den Arbeitsstundenplänen deutlich, und wir zogen die Konsequenz,
     diese mit einem klaren wöchentlichen Termin besser zu
     organisieren.

Siehe auch http://www.bremer-commune.de.

Das Bündnis mit der globalisierungskritischen Bewegung
======================================================

Ohne Druck von sozialen Bewegungen hat sich noch nie eine Gesellschaft
zum Positiven verändert. Oekonux sollte sich daher als Bestandteil der
globalisierungskritischen Bewegung begreifen. Attac Deutschland hat
gerade eine Broschüre zur "Alternativen Weltwirtschaftsordnung" fertig
gestellt (siehe http://www.attac.de/awwo), in der verschiedene
Positionen entwickelt werden, u.a. auch eine von mir eingebrachte
Position "Demokratisches Wirtschaften", die auf die freie
Software-Bewegung und Oekonux Bezug nimmt.

Diskussion
----------

Frage

     Mich fasziniert an der Freien-Software-Bewegung, dass die
     Konzerne selbst mitmachen - was natürlich Gefahren birgt, aber
     auch die Dynamik unheimlich antreibt, und eine Zuversicht gibt,
     dass sich etwas bewegt und durchsetzt, und nicht alles nur von
     Aktivismus abhängt, was auf die Dauer ermüdend ist. In diesem
     Spannungsfeld zwischen reiner Lehre und Einlassen auf das System
     bewegen wir uns. Nicht dass wir voll mitmachen sollten im System,
     aber wir könnten versuchen, darauf zu surfen. Ohne das bleiben es
     nur Nischen. Wie siehst du das?

Frage

     In der Regionalgeldbewegung steigen Firmen, Sparkassen und
     Bildungsträger ein; da passiert der gerade angesprochene
     Zusammenhang. (Organisations-)Ethik und Spiritualität sind auch
     wichtige Punkte für das Gedeihen von Strukturen. Menschen, die
     sich unter einer bestimmten Ethik zusammenfinden, können
     Schwierigkeiten überwinden, an denen normale Organisationsformen
     scheitern.

Antwort

     IBM hat eine Milliarde Dollar (1.000.000.000$) innerhalb eines
     Jahres in die Entwicklung von Linux gesteckt. Das hat zwei
     Seiten. Einerseits ist es natürlich schön, dass Linux damit
     vorangebracht wird. Andererseits fragt sich, ob noch eine
     kooperative Struktur da ist, ob die Entwicklung von Linux
     demokratisch mitentschieden werden kann - oder kann IBM durch die
     faktische Zahl der Programmierer nicht die Entwicklung bestimmen.
     Digital Rights Management [10] unter Linux gibt es ja auch
     schon... Es bringt nun auch nichts, sich auf die reine Lehre
     zurückzuziehen. Es muss aber Orte geben, wo klare Grundsätze und
     Strukturen praktiziert werden - nicht als befreite Insel, sondern
     in Wechselwirkung mit Gesellschaft. Wenn diese Wechselwirkung
     sich jedoch darauf beschränkt, auf IBM oder die Proklamation
     ethischer Grundsätze zu setzen, gewinnen die schleichenden
     Integrations- und Anpassungsprozesse, die bisher alle
     alternativen Ansätze wieder kanalisierten, leicht überhand.
     Deswegen halte ich ein Bündnis mit der globalisierungskritischen
     Bewegung für sehr wichtig, die auch die globale Dimension
     (Auswirkungen von Weltmarkt, IWF, WTO & Co., Situation der 3.
     Welt) hineinbringt. Wenn Oekonux Alternativen zum Weltmarkt
     entwickelt, sollte dies in die globalisierungskritische Bewegung
     eingebracht werden, in der es noch viele andere Ansätze gibt.
     Diese verschiedenen Ansätze müssen sich gegenseitig befruchten
     und in ihrer Wirksamkeit erhöhen - nur dann haben wir eine
     Chance.

André Gorz schreibt:

     Der "Kommunismus der Forscher" oder der Anarchokommunismus der
     Freien Netzwerke stellen selbstverständlich nur dann Muster einer
     anderen möglichen Welt dar, wenn sie sich im gesellschaftlichen
     Körper ausbreiten und dessen Neukomponierung beschleunigen. Eine
     weltweite Transformation erscheint nur dann möglich, wenn sie ein
     bestimmter Koalitionstyp voranträgt. Revolutionen werden gemacht,
     wenn sie je gemacht werden, von einem Bündnis der am schärfsten
     Unterdrückten mit denen, die sich ihrer eigenen Entfremdung und
     der Entfremdung der anderen am meisten bewusst sind. Dieses
     Bündnis zeichnet sich inder vielgestaltigen Bewegung für eine
     "andere Welt", eine andere Globalisierung ab. Seine verschiedenen
     Komponenten belebt eine Fülle von mit ihnen verbundenen
     Akademikern, Ökonomen, Schriftstellern, Künsterln und
     Wissenschaftlern. Sie radikalisieren sich im Verkehr mit
     oppositionellen Gewerkschaftlern, postindustriellen
     Neoproletariern, kulturellen Minderheiten, landlosen Bauern,
     Arbeitslosen und Entrechteten." (André Gorz: Wissen, Wert und
     Kapital. Zürich 2004, S. 78f.)

______________________________________________________________________

[1] Täglich sterben 100.000 Menschen an den Folgen des Hungers,
jährlich sterben 5 Millionen an mangelhafter Wasserversorgung.
http://www.taz.de/pt/2005/02/23/a0186.nf/text und
http://www.taz.de/pt/2005/08/24/a0130.nf/text

[2] http://www.opentheory.org/broetchen/text.phtml

[3] Rudi Dutschke propagierte die "totale Arbeitslosigkeit durch
Vollautomation".

[4] im "Gespräch über die Zukunft", Kursbuch 14, August 1968, Hrsg.
Hans-Magnus Enzensberger

[5] Auf der 3. Oekonux-Konferenz am 20.05.2004.

[6] Dass die Kibbuzim ihren sozialistischen Charakter weitgehend
verloren und sich dem Kapitalismus immer mehr angepasst haben, ist
natürlich ein Problem. Es sollte jedoch nicht durch autoritäre
Maßnahmen beantwortet werden, sondern durch eine kritische Analyse der
Integrationsmechanismen des Kapitalismus und die Entwicklung
intelligenter Gegenstrategien.

[7] Wobei viele Leibeigene von ihren Feudalherren auch vertrieben
worden sind.

[8] Dies wird ja auch in der freien Software-Bewegung praktiziert.
André Gorz analysiert, warum es unter den gegenwärtigen
Produktionsbedingungen zu "Dissidenten des digitalen Kapitalismus"
kommt (André Gorz: Wissen, Wert und Kapital, Rotpunktverlag 2004, S.
70ff.).

[9] Zum Spannungsfeld Zentralismus-Dezentralismus siehe auch den
Abschnitt "Motoren der Ökonomie", gegen Ende des Abschnitts.

[10] Digital Rights Management (digitale Rechteverwaltung), abgekürzt
DRM. Von Kritikern wird die Abkürzung auch als Digital Restriction
Management (digitale Einschränkungsverwaltung), umgedeutet. DRM ist
ein Verfahren, mit dem Urheber- und Vermarktungsrechte an geistigem
Eigentum, vor allem an Film- und Tonaufnahmen, aber auch an Software
oder elektronischen Büchern im Computerzeitalter gewahrt, sowie
Abrechnungsmöglichkeiten für Lizenzen und Rechte geschaffen werden
sollen. (...) Sie schränken den Zugang zu digitalen Angeboten z.B. auf
registrierte (d.h. bezahlende) Benutzer ein oder ermöglichen sogar die
individuelle Abrechnung einzelner Zugriffe auf ein Angebot.
(http://de.wikipedia.org/wiki/Digital_Rights_Management)

_________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.org/
Organization: http://www.oekonux.de/projekt/
Contact: projekt oekonux.de



Thread: oxenT02590 Message: 32/37 L1 [In index]
Message 04586 [Homepage] [Navigation]